Perspektiven einer Journalistin

Ukraine (Teil 1): Von Menschenrechten und Patriotismus

25/5/2014

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In den vergangenen Monaten ist die Ukraine zum Schauplatz für den Machtkampf zwischen der Europäischen Union und Russland geworden. Ich habe mir fünf Tage lang selbst ein Bild von den Menschen gemacht, die derzeit in der Republik für ihre Rechte kämpfen - ob sie wollen oder nicht.

Proteste in Lumboml

Einige Kilometer vor der ukrainisch-polnischen Grenze bremst der Fahrer den Reisebus abrupt ab. Gemeinsam mit etwa 60 Ukrainern bin ich auf dem Rückweg von Kiew nach Deutschland, aber die Polizei und eine kilometerlange Warteschlange trennen uns vom Grenzübergang. 

Verantwortlich dafür sind einige Bewohner des Dorfes Lumboml. Etwa 20 Frauen und 20 Männer haben sich an diesem Freitagabend (um 17 Uhr) auf der Fernstraße M07 versammelt und machen die Weiterfahrt für LKWs wie PKWs unmöglich, weil sie sich gegen die Einberufung ihrer Söhne zum Wehrdienst wehren wollen. 

Am 01. Mai hat die prowestliche Regierung in Kiew die Wehrpflicht für Männer im Alter von 18 bis 25 Jahren wieder eingeführt, um die "territoriale Integrität" der Ukraine wahren zu können. Doch es ist auch bekannt, dass die Regierungstruppen schlecht ausgerüstet sind.

Einige Mütter aus Lumboml haben ihre Söhne am Vortag (22.05.) bei schweren Gefechten rund um die ostukrainische Stadt Slowiansk verloren. Die Frauen sind verzweifelt und fordern Verhandlungen mit einem Regierungsvertreter aus Kiew.
Doch unserem Fahrer gelingt es mit den Protestierenden zu verhandeln und sie machen für uns eine Ausnahme. Bewegt beobachten wir aus dem Bus wie zwei Männer die letzte weinende Babuschka zur Seite ziehen, die sich noch heftig wehrt. 

Weder lokale noch internationale Journalisten haben über diesen Vorfall berichtet. Wie es ausgegangen ist konnte ich leider nicht herausfinden.

Warum das Volk sich wehrt

KiewEindrücke aus der Hauptstadt der Ukraine, Kiew (Foto: CC-BY-SA-3.0/Hoodrat)
Fünf Tage hatte ich Zeit in Kiew, um einen bescheidenen Einblick in die aktuelle Situation zu gewinnen. Die Menschen sind wütend auf Wiktor Janukowitsch, der im Winter 2013 friedliche Proteste mit Gewalt niedergeschlagen hat. 

"Drei Jahre lang hat er die Stimme des Volkes ignoriert, Staatsreserven verschwendet und auch die Korruption ist schlimmer geworden", sagt mir mein Bekannter in Kiew. "Ich bin selbst zu 75 Prozent russischer Herkunft, aber die Politik spielt in diesem Konflikt keine Rolle für uns. Die Ukraine soll ein Land sein, das Menschenrechte respektiert und dafür gehen wir auf die Straße."

Er erzählt mir auch, dass sich die Demonstranten vom Maidan "Banderas" nennen. Stepan Bandera gilt im Westen des Landes als der Führer des nationalen Befreiungskampfes im 20. Jahrhundert. Die russisch geprägte Ostukraine sieht in ihm hingegen einen Kriegsverbrecher, Terroristen, Faschisten, Antisemiten und NS-Kollaborateur. 

Woher kommt die Spaltung? 

Doch woher kommt diese Spaltung zwischen Ost und West? Der "Holodomor" unter Stalin ist eine Erklärung, die in der deutschen Berichterstattung selten erwähnt wird: 
Aufgearbeitet wird in der Ukraine heute vor allem die Hungersnot der Jahre 1932/33, der sogenannte Holodomor, der mindestens 3 Millionen Opfer gefordert hat. Begonnen hatte er mit von den sowjetischen Behörden festgesetzten überhöhten Ablieferungsquoten für Getreide, welche die Bauern dazu brachten, ihr hungerndes Vieh zu schlachten und von Jahr zu Jahr immer weniger anzubauen. Auf dem Höhepunkt der Krise zogen täglich nicht nur bewaffnete Requirierungstrupps, sondern auch Leichenwagen durch die Dörfer, um die neuen Toten einzusammeln. Ganze Provinzen wurden abgeriegelt, um Fluchtbewegungen zu verhindern, während sich vielerorts Kannibalismus ausbreitete.
Bei dieser Hungersnot starb ein großer Teil der Bevölkerung im Osten und Süden der Ukraine. In den entvölkerten Regionen siedelte Stalin anschließend gezielt russische Bauern an.

Kiew erkunden

Doch in erster Linie bin ich nicht als Journalistin nach Kiew gereist, sondern als Touristin. 22 Stunden Busfahrt habe ich dafür in Kauf genommen, damit ich in der kurzen Zeit auch einen Eindruck vom Land gewinnen kann. 
Bild Ein sowjetischer Moskwitsch (Foto: CC-BY-SA-2.0/DL24)
Kurz nach der Grenzüberquerung wird klar: Die Wirtschaft der Ukraine hat massiv gelitten. Wir überholen alte, klapprige Autos auf holprigen Straßen und fahren vorbei an verfallenen Hütten. Viele Ukrainer bauen ihr Obst und Gemüse selbst an. Schwere LKWs rauschen vorbei an Kindern, die zum Fuß auf dem Weg in die Schule sind. Immer wieder tauchen Hausskelette am Horizont auf, verlassene Baustellen als Zeugen der schlechten Wirtschaftslage des Landes. 

Kiew, die Hauptstadt der Ukraine am Fluss Dnepr, gehört zu den grünsten Städten Europas. Und günstig ist sie außerdem - für die, die Euros verdienen. Eine Wohnung kostet zwischen 200 und 300 Euro, eine Fahrt mit der Metro 2 Griwna (etwa 13 Cent), eine Mahlzeit in den günstigen Puzata Hata Restaurants zwischen 2 und 3 Euro. Für die Ukrainer ist das jedoch anders, denn der Griwna ist schwach und die Preise steigen. 

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Blick von der City Kiew über den Dnjepr nach Darnitzki (Foto: CC-BY-SA-3.0/Cherubino)
Wer sich in Kiew aufhält der muss sich auch an vollgestopfte Straßen und Metro-Stationen gewöhnen. Seit den Ausschreitungen am Maidan ist der Platz - eine wichtige Verkehrsader - zudem für Autos abgesperrt. Hat man aber Zeit, kann zu Fuß die Innenstadt erkunden und findet viele ruhige Zonen.  
  • Timeline der Geschichte der Ukraine
  • 10 Things you need to know about Ukraine's economy
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    Die Journalistin

    Ich bin über Kontinente geflogen, um die Welt zu entdecken. Gefunden habe ich eine zweite Heimat. Nach meinem Journalistik-Studium in Leipzig habe ich mir als freie Journalistin in Kambodscha ein Leben aufgebaut. Nun versuche ich in Berlin mein Glück.

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